Kulturverein Marke Eigenbau

Einst lebte der Brelinger Riese, sieben Meter war er groß. Mit dem Stock in der Hand und einem Hut auf dem Kopf schritt er durch die Wedemark. Da bemerkte er Sand in seinem Schuh. Er schüttete die lästigen Körner auf den Boden und schuf so die Brelinger Berge. In dieser sanften Hügellandschaft steht er noch heute auf einem Feld: als Statue aus Zweigen.

Nur etwa 1.000 Meter von dieser Stelle entfernt liegt das Dorf Brelingen. Ein Ort mit Kirche, Grundschule – und eigener Schnapsbrennerei. Dazu auf dem zentralen Platz des Dorfs: Die Brelinger Mitte. Der Name steht nicht nur für die örtliche Lage. Die Brelinger Mitte, ein Backsteinbau aus dem 19. Jahrhundert und Sitz des gleichnamigen Kulturvereins, nimmt eine große Rolle im Leben des Dorfs ein. Von Schulkind bis Greis: Praktisch sämtliche Einwohner kennen das Haus. Nahezu jeder im Dorf ist Mitglied im Verein. Aber wieso eigentlich?

Der wichtigste Punkt ist wohl: Die Brelinger Mitte ist vielfältig – so vielfältig wie die Einwohner und ihre Vorlieben. Von plattdeutschen Singkreisen über Theateraufführungen bis zu Rockkonzerten ist alles dabei. Veranstaltet werden Literaturlesungen, Kunstausstellungen und Feste zu verschiedenen Anlässen. Jeder kann Ideen einbringen, die meisten werden prompt umgesetzt. Die Mitglieder steuern den Verein gemeinsam, der Vereinsvorstand arbeitet ehrenamtlich.

Der Verein wird allein von Leidenschaft und Herzblut getrieben, niemand will Geld für seinen Beitrag haben. Nur Büroarbeit und eine Putzkraft werden bezahlt.

Der Brelinger Enthusiasmus zeigt sich auch am Haus selbst. Das ehemalige Gasthaus sollte verkauft werden, doch die Brelinger wollten sich ihren Ortsmittelpunkt erhalten. Schließlich befinden sich hier seit 25 Jahren auch die Post und der Supermarkt. Die Bewohner wurden aktiv: Innerhalb weniger Wochen brachten die Brelinger rund 100.000 Euro aus ihrem Privatvermögen auf – genug für das Haus. Und die Neuerwerbung sollte mehr werden als eine bloße Einkaufsgelegenheit. Es entstand eine echte Heimat für einen generationsübergreifenden Treffpunkt.

Die Brelinger Mitte ist heute nicht nur Anlaufstelle für Alteingesessene, sondern auch die erste Kontaktadresse für Zugezogene. Wer erst einmal im Verein dabei ist, kennt schnell das halbe Dorf. Bei Sonntagscafé oder gemeinsamen Backveranstaltungen entstehen gemütliche Gesprächsrunden, in die Neulinge sofort integriert werden.

Doch nicht nur der Verein ist den Mitgliedern wichtig, sondern auch das Gebäude selbst. Die Brelinger Mitte steht mittlerweile unter Denkmalschutz. Dadurch haben die Mitglieder oft aber mehr Scherereien als Vorteile. Steht ein Umbau an, müssen erst stapelweise Anträge durchgeboxt werden. Die Bürokratie verzögert viele Projekte – wenn sie sie nicht ganz verhindert.

Doch ist der Papierkram erst einmal abgehandelt, macht sich gefühlt das ganze Dorf auf die Beine und holt die Werkzeuge raus. Dann stehen an einem Samstag, früh am Morgen, plötzlich zehn Freiwillige da und bauen mal eben eine Außentreppe an das Haus an. Dafür muss zwar eine halbe Terrasse abgerissen und die komplette Bepflanzung entfernt werden, aber ist ja kein Problem: In diesem Verein hat man für jede Herausforderung Experten. Für die Bauaufsicht rund um die Außentreppe mussten nie ein Bauingenieur oder eine Baufirma beauftragt werden – sie zählen zu den Vereinsmitgliedern. Der Putz bröckelt schon von der Wand? Egal, einen Malermeister gibt es hier auch. Und wie funktioniert das mit den Pflanzen doch gleich? Ach, lassen wir einfach unseren internen Gärtnerverein ran, die machen das schon. Vollkommen autark wird so gemauert, gemalt und bepflanzt, wie es Handwerksbetriebe nicht besser könnten.

Nicht nur die nötigen Qualifikationen sind zufälligerweise alle vertreten, nein, der Verein hat einfach auch eine schiere Masse an Helfern. Immer mehr Leute tauchen an diesem Samstag auf der Baustelle auf und wollen bei dem lustigen Gehämmere mithelfen, vom sechsjährigen Hermann, der in viel zu großen Gummistiefeln durch die Gegend stapft, bis zu Jens, dessen langer Bart ihn schon knapp unter der Brust kitzelt.

Und ist die Arbeit getan, gibt es erstmal Frühstück – natürlich in lustiger Runde, alle gemeinsam. Am langen Tisch sitzen die Mitglieder in der Sonne und erzählen sich dieses und jenes. Plötzlich fängt einer an zu singen, seine Nachbarn setzen ein, und alles lacht.

Der Brelinger Riese beobachtet all das von seinem Standort im Feld, nur 1.000 Meter entfernt. Vielleicht denkt er: Ein fröhliches Völkchen, diese Brelinger.

Text: Max Handwerk
Foto: David Carreño Hansen