Die Ähren des Herren – Kulturarbeit zwischen Kanzel und Windmühle

Die doppelflügelige grüne Tür der alten Mühle schwingt auf. Im Inneren riecht es nach Holz. Staub wirbelt auf und tanzt in den Sonnenstrahlen, die durch die schmalen Fenster fallen. Nur das Knarren der Holzdielen ist zu hören, als Walter Janßen die Stufen zum zweiten Stock der Mühle emporsteigt. Alte Mahlsteine und Geräte erwarten ihn. Gewerblich gebraucht werden diese zwar schon lange nicht mehr, aber sie gehören zur Mühle. Er schaut sich um. „Alles in Ordnung“, findet Janßen. Weiter geht es raus auf die Galerie, die um die Mühle herum entlangläuft. Der Blick schweift über den Mühlenkopf und den Balkon entlang. Ein kurzer routinierter Check, auch hier gibt es nichts zu tun. Dann kann die heutige Führung beginnen.

Janßen streicht seine blaue Latzhose glatt, rückt die Brille zurecht und klettert die Stufen der Mühle hinunter. Unten erwartet ihn schon seine nächste Besuchergruppe. Janßen könnte den heutigen Zuhörer stundenlang über die Mühle berichten, schließlich ist er einer der Müller. Doch das tut er nicht. Lieber lässt er die Besucher Fragen stellen. Denn: „Nur dann erfahren die Menschen wirklich das, was sie auch wissen wollen“.

Und Fragen haben die Besucher viele. Ruhig und besonnen beantwortet der Seefelder alles, was die Besucher interessiert, und zeigt, wie die Mühle funktioniert. Der technische Aspekt fasziniert Groß und Klein. „Was passiert denn, wenn man an der Kette dort zieht?“, „Wie genau dreht sich der Mühlenkopf?“. Da werden Erwachsene wieder zu Kindern, die am liebsten alles ausprobieren und begreifen wollen. Auch Janßen hat vor allem Freude an der Technik der Mühle und am Material Holz. Das bewog ihn dazu, 2003 die Ausbildung zum Müller zu beginnen. Den Lehrgang bot die Vereinigung zur Erhaltung von Wind- und Wassermühlen in Niedersachsen und Bremen an – vermittelt durch das Kulturzentrum Seefelder Mühle. Zu diesem hatte Janßen schon einige Jahre Kontakt. „Die Gemeinschaft der Müller und der Zusammenhalt haben mich begeistert – und natürlich die Mühle selbst“, erklärt er. Nach einem zehnmonatigen Kurs mit Theorie und Praxis begann Janßen seine Arbeit als frisch gebackener Müller in Seefeld.

Die Seefelder Mühle ist eine der letzten Galerieholländerwindmühlen in der Wesermarsch. 1876 wurde sie gebaut. Nach der Beendigung ihrer kommerziellen Nutzung, Ende der 60er Jahre, verfiel sie zusehends. In den folgenden Jahren wurde das wertvolle Denkmal durch verschiedene Eigner wieder aufgebaut und aufwendig restauriert. Seit 1987 nutzt der Verein „Kulturzentrum Seefelder Mühle“ den Galerieholländer und seit 2012 das angrenzende Müllerhaus. Im Laufe der Jahre hat sich der Verein zu einem festen Bestandteil im Leben der Seefelder und des Umlands entwickelt. Zu einem großen Teil ist dies Cornelia Iber-Rebentisch zu verdanken. Die 2. Vorsitzende des Kulturvereins ist Organisatorin, Ansprechpartnerin und gute Seele. Sie ist für viele Seefelder nicht mehr aus dem Verein wegzudenken, wie auch die vielen anderen Ehrenamtlichen. Veranstaltungen wie Folk-Konzerte, Kunstausstellungen und der monatliche Landfrauenmarkt haben sich etabliert. 20.000 Besucher kommen jährlich, um die Kulturangebote wahrzunehmen oder einfach um den Tag bei einem Stück Kuchen im Café des Vereins zu verbringen. Sogar heiraten können Paare vor der malerischen Kulisse der alten Mühle. Ein breit gefächertes Angebot, das auch junge Leute mit einbezieht. Eine Theatergruppe mit knapp 15 Jugendlichen probt ständig für neue Stücke.

Auch bevor Walter Janßen freiwilliger Müller in der Mühle wurde, war er kein Unbekannter im Ort. Sein Hobby ist die Mühle, sein Beruf aber ist das Pastorenamt in Seefeld. In der Gemeinde kümmert er sich um Konfirmanden, Seelsorge, Taufen und Beerdigungen. Freud und Leid liegen dabei nah beieinander. Geduldig sein und den Menschen zuhören – das lernte der Familienvater in den 28 Jahren als Pastor. „Der Beruf Pastor stand für mich nicht von vornerein fest“, erinnert er sich. Ursprünglich wollte er Gymnasiallehrer für Sport und Deutsch werden. Doch heute ist Janßen glücklich, den Weg in das Pastorenamt eingeschlagen zu haben. Für die Seefelder war er lange Zeit „nur“ ihr Pastor. „Ich wollte aber auch noch eine andere Rolle im Dorfleben haben“ – Janßens zweiter Beweggrund für die Müllerausbildung. Als Pastor erlebt er viel Leid und Trauer, damit bringt man ihn oft in Verbindung. „In der Mühle aber fragen mich die Leute etwas über die Mühle und sprechen mich nicht wegen einer Beerdigung an“. Doch die Rolle des Pfarrers wird für Janßen immer an erster Stelle stehen. „Meine Tätigkeit als freiwilliger Müller ist ein schönes Hobby“. Sonntags wird dann zuerst der Talar aus dem Kleiderschrank geholt, dann macht er sich auf den Weg in die örtliche Kirche. Am Nachmittag ersetzt ein Hemd samt blau-grauer Latzhose die schwarze Robe, und Walter Janßen strampelt mit dem Fahrrad zur Mühle.

Das 1.500-Seelen-Dorf Seefeld liegt in der Wesermarsch. Plattes Land, Schafe und der Deich. Seinen Namen hat Seefeld einer einfachen Tatsache zu verdanken: Nach dem Deichbau 1643 wurde aus der See ein Feld – der Ort entstand. Heute hat Seefeld alles, was ein Dorf braucht: eine Kirche, einen Arzt, eine Grundschule nebst Kindergarten, einen kleinen Supermarkt – und eine lebendige Dorfgemeinschaft.

Genau dieses Gemeindeleben interessierte Walter Janßen vor 28 Jahren. „Ich wollte auf jeden Fall Pastor in einem Dorf sein“, erinnert er sich. Heute ist er glücklich, mit seiner Familie in Seefeld zu leben und zu arbeiten. Trotz des anstrengenden Berufs und des zeitintensiven Hobbys: Janßen verbringt so viel Zeit wie möglich mit seiner Frau, den drei Kindern und der Enkeltochter. Abends setzt sich das Ehepaar gerne mit einem Glas Rotwein draußen vor dem Haus hin und lässt den Tag Revue passieren. „Mit der Kirche, der Mühle und meiner Familie hat Seefeld alles, was ich brauche“.

Text: Laura Lübke
Foto: Stefanie Preuin