Auf der Suche im Finden.

Kein schöner Sommertag. Meine Augen blinzeln gegen ein leichtes Nieseln, die frische Luft ist blickdicht. Langsam bewege ich mich am Südhang des Deisters, lasse die kleine Ortschaft Völksen fast hinter mir und bleibe beim Anblick großer, versteinerter Lungenflügel stehen. Ich halte inne. Zwar hatte ich keine Vorstellung von jenem Ort, den ich an diesem Morgen zu finden suchte, doch wirkt dieses obskure Konstrukt aus Stein und Eisen wie ein Mahnmal auf mich. Mir ist, als hätte ich eine Grenze erreicht.

Entlang eines hölzernen Lattenzauns, den ich so nur noch aus den Fotografien vergangener Tage kenne, gehe ich langsam voran. Kurze Zeit später stehe ich vor einem großen Haus mit grünem Anstrich. Der Tag ist immer noch nicht in ein warmes Sonnenlicht getaucht, vielmehr offenbart ein Blick in den Himmel trübe Aussichten. Doch irgendwie spricht der Ort zu mir, zumindest fühle ich mich nicht allein.

Vorbei an hohen Baumreihen begebe ich mich in den Garten des Hauses. Unter der Endlosigkeit des Himmels öffnet sich vor meinen Augen eine weitläufige Landschaft, die wild an einigen Stellen auswuchert und mir nicht ganz greifbar wird. Ich suche Kontakt, doch niemand spricht zu mir außer im Wind tanzenden Gräsern und dem Schrei eines Greifvogels in naher Ferne. Mittlerweile stehe ich bis zu den Knien im hohen Gras.

Plötzlich höre ich eine fortlaufende Bewegung, drehe mich um. Nichts. Verwirrung stiftet eine Parkbank, die in unerreichbarer Höhe über meinem Kopf an einem Baumstamm befestigt ist. Da ist es wieder. Das Geräusch. Zuerst traue ich meinen Augen nicht, doch dann beginne ich zu verstehen. Eine fast menschengroße Kugel aus feinem, durchschaubarem Geflecht rollt auf mich zu. Mit beiden Händen halte ich den fast geometrischen Körper auf. Ein Lächeln steht in meinem Gesicht, irgendwie mag ich diesen Ort und das Spiel der Entdeckung, welches er mir abverlangt.

Ich schließe die Augen. In diesem Moment bin ich ganz nah bei mir, fühle mich frei und habe das Gefühl, meiner Seele Ruhe vor der Hektik einer Großstadt geben zu können. Meine wieder offenen Augen suchen im Grün Erholung, die Sonne bricht die Wolkendecke auf, mein Blick schweift. Bunte, quaderartige Skulpturen? Ich verstehe nicht ganz.

Links von mir entdecke ich eine Treppe, und so begebe ich mich hinab, bis mir meterhohe, rostige Metallplatten fast labyrinthisch im Weg stehen. Wie ein Kind, für welches das Spiel des Lebens das Abenteuer ist, nähere ich mich, klopfe leicht mal gegen die eine, mal gegen die andere Platte, vernehme dumpfe, fast schwingende Töne. Im Finden vergesse ich, wonach ich eigentlich suchte, und irgendwann ist mir, als hätte ich das Gefühl für Zeit verloren.

Während ich die Treppe wieder hinaufsteige, kreisen meine Gedanken. Fast unbewusst gehe ich durch den Garten, bis sich mir eine moderne, flachbauartige Architektur präsentiert. Im Inneren sind eine große Freifläche bzw. Bühne sowie ein Ausstellungsraum, der durch seine Reduktion auf das Wesentliche einen markanten Charakter aufweist. Mir kommt es vor, als ob es sich um einen Begegnungsort handelt, der dem natürlichen Freiraum zur Seite gestellt ist. In einer Ecke liegt Werkzeug, inmitten des Raums steht ein abstraktes Klanginstrument, Kleinigkeiten, die Unordnung stiften, aber gleichzeitig auch die Menschenleere zum Leben erwecken. An modernistisch anmutenden Mauern aus Kalkstein vorbei begebe ich mich auf den Heimweg.

„Und ich gehe mit Euch, die ich lieb hab‘, in den Schatten unseres Hauses in den Garten voller Schönheit in den Frieden“.

Es ist, als wäre es lediglich eine Inschrift auf einem Gedenkstein. Es ist jedoch vielmehr.

Sonnenstrahlen. Glück. Kinder rennen umher, Wolken begrenzen den Raum, und nichts scheint, wie es war. Mühsam wäre die Suche nach Erinnertem, zu finden wären nur Spuren. So begebe ich mich unter die Apfelbäume und öffne mein Herz. Menschen stehen vereinzelt, bewegen sich entfernt nah, haben Kontakt und wirken vereint. Der Ort meiner Wiederkehr wirkt heute wie ein Spielplatz seiner Freunde und Besucher.

Ich fühle mich nicht fremd, obwohl ich mich einsam bewege. Mir scheint, als würden um mich herum die unterschiedlichsten Sprachen gesprochen. Kein künstlerischer Eingriff wirkt auf seine Herkunft zurückführbar. Und während meine Gedanken zu erklären suchen, vernehme ich jazzige Töne, die mich zum Tanz einladen. Es fühlt sich leicht an, seiner Hingabe zu folgen. Im Dunkeln finde ich mich wieder. Helligkeiten ergeben ein natürliches Bild, und mit Erstaunen nehme ich im Tiefschwarz ein Blätterwerk sowie das Geäst eines Urwalds wahr. Ein Schattenspiel. Im Tanz der Lichter erkenne ich einen Rhythmus, welcher Klangfarben vor meine Augen tupft.

Langsam verstehe ich. Sehe in dem Ganzen einen musealen Raum, welcher Natur atmet und von Kultursinnenden bespielt wird. Eine Symbiose, welche von Jung und Alt gepflegt, verändert sowie in immer neue Kontexte überführt wird.

Tage später wache ich über meine Gedanken auf. Versuche aufzuschreiben, was ich gefunden habe, als ich eigentlich gar nicht wusste, wonach ich suchte. Ich denke, alle können diesen Ort erfahren, solange sie nur bereit sind zu finden und sich überhaupt auf die Suche begeben.

Text und Foto: Tobias Kappel