Expedition ins Elbreich

Nicht weit entfernt im eigenen Land reisen und trotzdem neue Welten entdecken? Ja, es geht! Wo wir hinfahren, ist es sogar abwechslungsreicher als in manchen anderen Urlaubsregionen. Hier gibt es nicht nur Sonne, sondern auch Regen und Nebel. Das ist nicht sarkastisch gemeint, sondern das gehört an der Elbe in Nordostniedersachsen einfach dazu und macht den Aufenthalt erst perfekt! Hier ziehen die Wolken selbst im Sommer manchmal so tief über das platte Land, dass sie die Baumwipfel zu streifen scheinen. Der Strand und die See locken mit Badefreuden, und direkt vor uns zeichnet das zurückziehende Meer im Watt Schlieren in den Sand. Hier trifft der breite Elbstrom auf die nahe Nordseeküste.

Und genau hierhin zieht es meine Familie und mich. Auf unseren Fahrrädern folgen wir ein Wochenende lang der Elbe von Balje nach Glücksstadt auf dem sogenannten Elbradweg. Mein Freund ist „Star Trek“-Fan und murmelt: „Der Elbradweg, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2013. Dies sind die Abenteuer dreier wackerer Drahtesel mit ihren drei Humanoiden – einem Kind, einer Frau und einem Mann – auf der Suche nach neuen Unternehmungen, anderen Behausungen und unvertrauten Gerüchen.“

Los geht es in Balje an der Elbe, rund 25 Kilometer von Cuxhaven, von der Elbmündung, entfernt. Wir fahren mit gut 20 Kilometern pro Stunde über den (Asphalt)-Radwanderweg. Es quietschen die Pedale, der Matsch fliegt auf. Nur die eigene Muskelkraft treibt uns voran.

Wir fahren der aufgehenden Sonne entgegen und fühlen uns frei. Das klingt kitschig, und ist es auch. Rechts und links von uns liegen nur Felder und Wiesen, so weit das Auge reicht. Alles ist grün und sauber, rote, blaue und gelbe Blumen blühen und leuchten im Grün. Wir sind nur für uns – singen und erzählen. Wir fühlen uns ein wenig entrückt – weit entfernt von Stress, Lärm und Hektik. Keine Menschenseele weit und breit. Wir hören das Muhen der grasenden Kühe, fühlen nur den Wind, der uns an der Nase kitzelt.

Ich komme ins Schlenkern. Ich kann den Sturz gerade noch abfangen und springe ab. Neben uns der Deich und Schafe. Da, plötzlich, Dutzende, nein, Hunderte von Gänsen fliegen über uns hinweg. Was für ein Schauspiel der Natur, was für ein Abenteuer. Mein Herz klopft laut. Aufgesessen und weiter geht’s ...

Da, am Horizont, ein Leuchtturm – da wollen wir hin. Er ist unser erstes Etappenziel. Die Sonne steigt gemächlich ihrem Zenit entgegen. Nun begegnen wir allmählich immer mehr Drahteselabenteurern wie wir selbst. Weiter geht es am Deich entlang, am Naturfreibad Krummendeich vorbei. Am Mittag kommen wir am historischen Kornspeicher in Freiburg an der Elbe an. Wir machen an der angrenzenden Fahrradstation halt. Es ist Zeit zum Durchschnaufen und Zeit für kleine Reparaturen: Ein Schlauch ist zu flicken, an allen Rädern Luft nachzupumpen.

Der historische Kornspeicher ist kulturelle Begegnungsstätte und soll bis 2014 weiter ausgebaut werden. Kaum sind wir abgestiegen, erwarten uns vor der Tür des Kornspeichers Herbert Bruns und seine Frau Ilse. Er ist Vorstandsvorsitzender des Fördervereins „Historischer Kornspeicher Freiburg/Elbe“. Beide erzählen uns angeregt, wie der Innenausbau des Kornspeichers zu einem Kulturzentrum vor sich ging, ja immer noch im Werden ist, denn erst 2014 soll alles fertiggestellt sein. Nach der Betriebsaufnahme im Sommer 2014 wird dann eine kleine Gastronomie-Einrichtung im Speicher alle Radler herzlich zur Rast einladen. Eifrig entwerfen die beiden ein imaginäres Bild: „Stellen Sie es sich vor: Bei schönem Wetter nehmen Sie Platz auf der großzügigen Außenterrasse und schauen auf den romantischen kleinen Freiburger Hafen.“

Die angrenzende Fahrradstation ist im April dieses Jahres mit einem großen Fest eingeweiht worden. Heute ist sie voll ausgestattet mit einem Werkraum für kleinere Fahrradreparaturen, mit Schließfächern und Toilettenräumen. Herbert und Ilse Bruns laden uns spontan zum Übernachten ein, was wir dankend annehmen. Wir bekommen Abendbrot und zum Nachtisch Ilses berühmten „Apple Crumble“ mit selbstverständlich frisch gepflückten Äpfeln aus Kehdingen. Mit einem Feierabend-Bier und Apfelschorle beschließen wir den Tag und freuen uns heute schon auf das nächste Mal, wenn wir wieder hier sein können, um mit dem Tidenkieker, dem Niederelbe-Safari- Schiff, zur Insel Krautsand zu fahren oder Robben anzusehen, die sich auf Sandbänken sonnen.

Ein neuer Tag bricht an. Wir fahren weiter, weg vom historischen Kornspeicher, durch die Natur- und Landschaftsschutzgebiete. Das Watt ist unberührte Natur, und das Spiel der Gezeiten von Ebbe und Flut schafft immer wieder neue Eindrücke. Also Schuhe aus, Hosen hochgekrempelt, die Fahrräder zur Seite gelegt und noch ein Blick auf den Tidenkalender. Los geht’s: Wir gehen ins Watt wandern. Es ist quatschig, es ist rutschig, es ist nass, es ist glibberig. Mal tief, mal tiefer ... Beeindruckend!

Wir sehen Krebse und Fußspuren von Vögeln. Das Blau des Himmels wetteifert mit dem Blau des Wassers. Es ist alles so kitschig! Aber wir fühlen uns wohl. Schlammverschmiert gehen wir wieder ans feste Land, um uns die Füße zu waschen. Dafür steht eine Wasserpumpe bereit. Brrrr – das ist kalt. Aber wir wollen ja wieder in unsere Schuhe hinein. Weiter geht’s in Richtung Hafen, den wir am späten Nachmittag erreichen.

Was wäre die Elbe ohne Küstenschiffe und Dampfer. Wir haben das Glück, welche zu sehen. Ja, sogar auf einer Fähre mitzufahren. 30 Minuten dauert die Überfahrt von Wischhafen nach Glücksstadt. Dort angekommen wird unser Tag sogar gekrönt durch den Genuss von frisch zubereiteten Matjes, die am Anlegeplatz verkauft werden. Das ist genau das Richtige für kleine ausgehungerte Abenteurer als Schlussstrich unter einem fantastischen Tag und einer tollen Tour.

Auf dieser Tour haben wir Ruhe und Beschaulichkeit zum Auftanken und Entspannen gefunden. Es gibt noch so viel zu entdecken direkt vor der eigenen Haustür. Man muss sie nur öffnen und den ersten Schritt machen.

Text und Foto: Samantha Franson